Quantcast
Channel: telefacts.tv Blog - Schweres schreibt: » Medien & more
Viewing all articles
Browse latest Browse all 7

Recherche: Wenn Fakten stören

$
0
0

„Zu viel Recherche schadet nur“, ist ein alter Redakteurs-Spruch. Vor vielen Jahren, als die Recherche noch zu einer der wichtigsten Tätigkeiten eines Journalisten gehörte, war das noch lustig gemeint. Jüngere Journalisten-Generationen haben es zu ihrem Credo erhoben, glaubt man oft. Sie sind meist zufrieden, wenn sie sich durch ein paar Mouse-Clicks im Internet ein bisschen Halbwissen zu einem Thema – nun ja, aneignen trifft es nicht, weil diese flüchtigen Informationen sch selten im Hirn festsetzen und sofort nach dem Schreiben oder Senden der Geschichte wieder verflüchtigen.

Für die Recherche bleibt immer weniger Zeit für Journalisten, die sich berufsmäßig mit dem Erstellen oder Weiterverbreiten aktueller Ereignisse beschäftigen. Kaum ist etwas in der Welt, ist es via Internet schon in der ganzen Welt. Es wird von News-Junkies, selbsternannten Web-Reportern, von Bloggern und Webseiten-Betreibern sofort und ungeprüft verbreitet.

Viele Nachrichten verändern sich dabei. Durch unprofessionelles Umschreiben oder Zusammenfassen, das ist noch die harmlosere Variante. Oft aber auch, weil jeder noch einen draufsetzt, um die Aufmerksamkeit auf seinen Beitrag zu lenken. Als besonders abschreckendes Beispiel habe ich da die Internet-Seite „Short News“ vor Augen.

Diese sinnentstellenden Kürzungen und Übertreibungen sind natürlich nicht durch recherchierte Fakten gestützt, sondern häufig schlicht ausgedacht. Zu viele Fakten stören wohl nur, denkt man oft. Diese Leute sind meist von Ausbildung und Kenntnissen überhaupt nicht in der Lage, ein Ereignis einzuordnen oder zusammenzufassen. Geschweige denn die mögliche Wirkung auf von der Geschichte Betroffene abzuschätzen. Die oben genannte Personengruppe ist dabei niemanden gegenüber zu irgendwas verpflichtet, zum Beispiel zu Wahrhaftigkeit oder Seriosität, man ist schließlich sein eigener Chefredakteur und/oder Seiteninhaber. Ob ihre Seite als glaubwürdig angesehen wird, ist ihnen egal. Was zählt, sind Clicks. Die bringen Werbung und Geld.

Denn ihre Werbegelder stecken mittlerweile nicht nur Konzerne, sondern immer häufiger sogar der Fischhändler von der Ecke ins Internet statt in Zeitungen oder Fernsehsender. Was dazu führt, dass diese klassischen Medien bei der Aktualität und Findung von Geschichten einerseits dem Netz hinterherhecheln, anderserseits immer weniger Redakteure und Reporter für diese Arbeit beschäftigen, weil ihre Gewinnmargen einbrechen.

Was dabei dann auf der Strecke bleibt, ist die Recherche. Aber nicht nur aus Zeitmangel und Überforderung, behaupte ich, manchmal auch aus Kalkül. Redakteure und Drucker kosten die Zeitungen Geld, Reporter und Kamerateams wollen von den Fernsehsendern bezahlt werden. Und es müssen Inhalte her, Geschichten zum lesen und gucken für Rezipienten.

Wenn sich also ein Journalist stundenlang mit der Recherche beschäftigt, eine Geschichte auf ihre Hintergründe abklopft, kostet das erstmal Zeit. Und Zeit ist bekanntlich Geld. Die Kosten halten sich noch in Grenzen, wenn sich nach ein paar Telefonaten herausstellt, dass die Geschichte so nicht stimmt. Dann ist der Redaktionsleiter, CvD oder Chefredakteur trotzdem sauer, weil er ja nichts zu drucken oder senden hat und eine andere Story gefunden werden muss.  Teurer wird es aber, wenn der Zeitungsredakteur mit einem Fotografen, der TV-Reporter mit Kamerateam bereits rausgehetzt worden sind und sich erst vor Ort herausstellt, dass alles anders ist als gemalt. Das sind die Fälle, wo sich der Wert von vorheriger Recherche herausstellt. Aber erst im Nachhinein, deshalb wird es beim nächsten Mal wieder ohne gemacht.

Also: Am besten sind Geschichten, die man ohne Recherche eins zu eins umsetzen kann, weil man der Quelle vertraut. Am allerdankbarsten, zumindest für Zeitungsredakteure, sind Pressemeldungen von Behörden. Wenn nicht durchs zahlreiche Stationen im Netz verfälschte Originalmeldungen von der Stadtverwaltung, der Polizei oder der Feuerwehr eintrudeln, werden sie oft ungeprüft, häufig sogar im Originaltext, ins Blatt gehoben. Denn Behörden dürfen ja nicht lügen. Wenn der Meldung per email sogar noch ein kostenfreies Foto angehängt ist, umso besser. Ist zwar Scheiße für den freien Fotografen, der dieses Bild jetzt nicht mehr verkaufen kann, aber der Verlag hat Geld gespart. So läuft das, jedenfalls bei den sogenannten „seriösen“ Zeitungen und meist auch beim WDR. Der fährt allerdings noch raus, lässt sich den Inhalt der Pressemeldung von einem Behördenvertreter in die Kamera sprechen, unterlegt das noch mit einem Bilderteppich, gern aus Gebäudefassaden und Straßennamen. Das ist bei Crime-Geschichten wichtig, damit auch jeder Gaffer weiß, wo genau das Unglück geschah.

Bei uns reicht das nicht, wir sind nämlich nur Boulevard. Das ist der Gehsteig mit dem Kiosk, an dem unsere Kunden unser Produkt kaufen müssen. Express und Bild hat man nicht wie die Tageszeitung sowieso im Abo, egal was drin steht. RTL und SAT1 bekommen keine Zwangsgebühren wie ARD und ZDF, ihre Währung ist die Aufmerksamkeit der Zuschauer. Auf dem Boulevard, das ist beim Express und BILD nicht anders als bei RTL und SAT1, muss noch ein Schicksal hinter der Meldung stehen, dass den Leser/Zuschauer bewegt. Zum Weitergucken oder zum Kaufen. Allein deshalb sind wir gezwungen, mehr und genauer zu recherchieren, auch mit Täetern und Opfern zu reden, nicht nur mit Behörden. Was manchmal sehr ärgerlich ist.

Zum Beispiel gestern, die Pressemeldung kommt von der Essener Feuerwehr, also einer Originalquelle: „Essener Feuerwehrmann rettet Leben“ ist sie überschrieben. Das sei zwar der Job eines Feuerwehrmannes, schreibt Feuerwehr-Pressesprecher Mike Filzen, aber dieser Fall sei anders gelagert: „Der 38 Jahre alte Essener Feuerwehrmann Goran Misic hat mit einer Stammzellenspende Leben gerettet.“

Der Mann habe sich 2011 in die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) eintragen und typisieren lassen. Im letzten Oktober habe sich die DKMS bei Misic gemeldet, er käme als Spender in Frage, für den an Krebs erkrankten Menschen sei das wie ein Sechser im Lotto gewesen. So sei Misic zum Lebensretter geworden, und deshalb habe er jetzt ein Dankschreiben der DKMS und eine Urkunde erhalten.

Soweit der Text von Mike Filzen.

 

Foto: Feuerwehr Essen

Im Kopf läuft schon der Film: Feuerwehrmann Misic beim Löschen, rettet beruflich Leben. Dann der private Lebensretter, die DKMS führt vor, wie spenden geht, der glückliche Empfänger, heute gesund, vielleicht hat er noch Bilder aus der Zeit seiner Krankheit.

 Anruf bei Mike Filzen. Falls ich ein Foto von Herrn Misic brauchte, das sei dem Pressetext übrigens angehängt. Ach so, TV. Klar könnten wir mit seinem Feuerwehrmann drehen. Nein, den Empfänger der Spende kennen sie nicht.

Stutz.

Aus Datenschutzgründen (wie ich dieses Wort hasse) erfahre der Spender nicht, wer der Empfänger sei, erklärt Filzen. Umgekehrt schon, es sei dem Empfänger aber freigestellt, mit dem Spender Kontakt aufzunehmen, das sei in diesem Fall nicht geschehen. Weiteres wisse die DKMS. Filzen hat sogar eine Telefonnummer der DKMS in Freiburg für mich. Perfekter Service.

In Freiburg verweist man mich an die Pressestelle der DKMS in Köln, eine Frau Oellig sei zuständig. Mir schwant nichts Gutes: Köln. Eine Frau. Heute. An Weiberfastnacht. Es wundert mich also nicht, dass die Dame bis Mittwoch frei hat. Aber sie hat einen Vertreter, den Herrn Guido Ening, der ist sehr nett. Und nimmt sich sehr viel Zeit, mir einiges zu erklären, obwohl seine Kinder zu Hause mit Grippe im Bett liegen und auf ihn warten:

Die deutsche Knochenmarkspenderdatei ist die Größte der Welt. Etwa 30 Prozent aller abgegebenen Spenden auf dem Planeten stammen von der DKMS, etwa 70 Prozent der deutschen Stammzellenspenden gehen ins Ausland. Da in allen Ländern die Datenschutzbestimmungen unterschiedlich sind, erfährt man in vielen Fällen überhaupt nicht, ob eine Spende erfolgreich war oder nicht. Zum Beispiel in Finnland sei das Verfahren komplett anonym. Eine Knochenmarkspende sei für die Betroffenen die letzte Möglichkeit der Behandlung, wenn eine  Chemotherapie und alles andere nicht angeschlagen habe. Deshalb seien die Patienten schon vor der Übertragung der Stammzellen in sehr schlechtem körperlichen Zustand und allein dadurch die Erfolgschancen nicht rosig, das schwanke zwischen 40 und 80 Prozent.

Wie das konkret mit dem Essener Feuerwehrmann war, könne und dürfe er nicht sagen, wegen des Datenschutzes. Es könne aber sein, dass der Empfänger noch gar nichts vom Spender Misic wisse. Falls der einem Deutschen gespendet habe, erfahre der Empfänger auch erst mit einer Verzögerung von einigen Monaten, wer sein Lebensretter war. Warum diese Zeitverzögerung? Weil gerade in der ersten Zeit nach der Transplantation das Infektionsrisiko stark erhöht sei und Rückfälle auftreten könnten. Ob eine endgültige Heilung eingetreten sei, könne man sowieso erst nach ungefähr zwei Jahren sagen.

Aber die Feuerwehr hat doch geschrieben, Herr Misic habe ein Leben gerettet, und er hat doch eine Urkunde und ein Dankschreiben erhalten? Herr Ening kann mir den genauen Text der Urkunde nicht sagen, aber sinngemäß stehe darin, dass man sich für seine Teilnahme an dem Verfahren bedankt. „Also wie eine Teilnehmerurkunde bei den Bundesjugendspielen, nicht wie eine Siegerurkunde?“ Herr Ening findet den Vergleich offensichtlich zu flapsig, „aber inhaltlich können Sie das vergleichen, durchaus.“ Heißt zu deutsch: Ob der Feuerwehrmann durch seine Knochenmarkspende definitiv zum Lebensretter geworden ist, kann momentan niemand sicher sagen.

Tja. Viel gelernt, vielleicht ergibt sich ja mal eine andere Geschichte. Aber nicht diese. Weil man noch gar weiss, ob die Übertragung erfolgreich war. Bei Mike Filzen von der Feuerwehr klang das anders. Vielleicht hat er es nicht besser gewusst. Aber natürlich ist er als Pressesprecher auch PR-Mann der Feuerwehr, muss sie möglichst gut verkaufen. Und er ist Profi genug, zu wissen, dass er mit der Meldung “Essener Feuerwehrmann rettet vielleicht Leben” wahrscheinlich wenig Chancen gehabt hätte, den Spender, die Feuerwehr und deren Chef in die regionlen Zeitungen zu bringen. Klar finde ich es toll, dass Feuerwehrmann Misic extra nach Köln gefahren ist und die sechsstündige dialyse-ähnliche Prozedur auf sich genommen hat. Aber die Kernaussage, dass er ein Leben gerettet hat, lässt sich nicht halten. Vielleicht und hoffentlich heißt das: Noch nicht. Zeitpunkt jetzt habe ich die Geschichte, klingt in diesem Zusammenhang makaber, totrecherchiert.

 

Foto: Filzen

WAZ und NRZ waren da schlauer. Die hab dem Text der Feuerwehr vertraut, ihn leicht umgeschrieben, ohne den Inhalt zu verändern oder zu erweitern (also: ohne zu recherchieren). Die Überschrift in der WAZ: “Leben gerettet durch Spende der Stammzelle”. Bei der NRZ heißt es im Text: „Mit einer Stammspendenzelle konnte Dank Goran Misic das Leben eines Krebspatienten gerettet werden.“ Daneben ein Foto von Misic und Feuerwehrchef Ulrich Bogdahn, darunter steht „Foto: Filzen“, fertig.

Was lehrt uns das? WAZ und  NRZ haben den Artikel so gebracht, wie er angeflogen kam, nicht bei Feuerwehr-Pressesprecher Filzen nachgefragt oder bei der DKMS recherchiert. Deshalb stimmt das so nicht, wie es da steht. Das wissen einige zehntausend Leser aber nicht. Und könnte sich jetzt nach der Lektüre entscheiden, auch zum Knochenmarkspender und möglicherweise zum Lebensretter zu werden. WAZens haben ziemlich sorg(falts)los ihre Blätter gefüllt (… wird schon stimmen, wenn die Feuerwehr das sagt), aber vielleicht etwas Gutes erreicht.

Und ich? Ich habe recherchiert, dabei herausgefunden, dass es so ganz nicht stimmt, und nichts berichtet. Also hier im Blog, ja, aber das lesen ja nicht so viele. Jedenfalls habe ich keinen TV-Beitrag für Millionen Zuschauer produziert. Niemandem geholfen, niemanden glücklich gemacht, nix verdient. So ist das mit der Recherche: Zu viele Fakten stören nur, oder?


Viewing all articles
Browse latest Browse all 7

Latest Images

Trending Articles





Latest Images